Seit Wochen werden Missbrauchsfälle an Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der katholischen Kirche bekannt, was zu einem drastischen Ansteigen der Kirchenaustritte führt. Nun sind Vertreter der Kirche nicht die einzigen Missbrauchstäter, es ist erwiesen, dass Täter sich auch unter Eltern, nahen Verwandten oder Freunden der Familie des missbrauchten Kindes finden.

Im Zusammenhang mit Missbrauch und seinen Folgen wird als eine Möglichkeit der Heilung angesehen, dass das Opfer seinem Täter verzeiht. Es ist meine Erfahrung aus jahrelanger therapeutischer Arbeit mit dem Thema Missbrauch, dass ein Verzeihen nicht möglich ist, wenn Heilung erfolgen soll. Verzeihen kann aus meiner Sicht nur, wer die Möglichkeit der Vergeltung des ihm widerfahrenen Unrechts hat, auf diese Möglichkeit aber zugunsten des Verzeihens verzichtet. Das jedoch ist einem Kind nicht möglich: es hat, als Unterlegene(r) in einer unsymmetrischen Macht-Beziehung nicht die Wahl der Vergeltung. Verzeiht ein Opfer seinem Missbrauchstäter, dann begibt es sich auf ein und dieselbe Ebene mit dem Täter und verleugnet dadurch das Gefälle, das zwischen dem Täter und ihm besteht. Selbst wenn es inzwischen zum Erwachsenen herangewachsen sein sollte, ist und bleibt es gegenüber dem Täter im Hinblick auf das Missbrauchsgeschehen das Kind.

Des weiteren: Verzeihung kann aus meiner Sicht nur da geschehen, wo um Verzeihung gebeten wird. Dies setzt voraus, dass der Täter Verantwortung für sein Vergehen übernimmt, denn nur dann könnte er, bei gleichzeitiger Demut, um Verzeihung bitten.

Die Ambivalenz der Täterpersönlichkeit bei Missbrauch ist – so ist meine Sicht – einerseits eine grundsätzliche Unklarheit über die gegenwärtige Wirklichkeit, in der der Missbrauch geschieht, ein wie Benebelt- oder im Rausch-Sein oder Besessen-Sein, so dass das schändliche Tun als solches gar nicht wahrgenommen geschweige denn empfunden wird, und andererseits eine oft vernichtende Selbstverachtung, mit der der Täter sich selber als unbewusste Strafe sozusagen als lebensunwert ansieht.